Saturday, January 27, 2007

Willensfreiheit und Recht bei Coluccio Salutati

De necessitate facimus voluntatem: Willensfreiheit und Recht bei Coluccio Salutati

Paul Richard Blum, Loyola College in Maryland

Drei Problemkreise beschäftigten Coluccio Salutati[1], die ihn zu einem der Väter des Renaissance-Humanismus machten: Das menschliche Handeln, die antike Tradition und der christliche Gottesbegriff. Diese Fragen sind miteinander verknüpft, wie man an einem frühen Beispiel zeigen kann. In einem Brief von 1366 wirft er die Frage auf, wie denn Herkules jemanden zur Strafe (!) töten kann, wenn doch in anderen klassischen Texten der Tod als Erlösung vom Leiden verstanden wird, was mit christlichen Jenseitsvorstellungen teilweise kompatibel ist.[2] Das wichtigste Ergebnis dieser Überlegung ist die Feststellung, daß die antiken Texte auf ihren Zusammenhalt geprüft werden müssen, d.h. einer Hermeneutik bedürfen, und daß sie zugleich als Handlungsweisung für das wirkliche Leben dienen können.

Richtungsweisend für die Entwicklung des Humanismus als Philosophie menschlichen Handelns ist, daß viele Texte Salutatis wie auch große Stücke des Briefwechsels Gelegenheitsschriften sind, d.h. ausführliche theoretische Antworten auf situationsbezogene Anfragen. So befaßt sich De fato et fortuna mit dem Bürgerkrieg in Perugia, von dem der Zisterzienser-Abt Felice Agnolelli vermutete, er sei Schicksal oder fortuna. In der Sache lautet die Antwort: Da die göttliche Vorsehung nicht ungerecht sein kann, liegt die Ursache in den Bürgern von Perugia und ihrem aufgeheizten Willen gegeneinander, welche aus Leidenschaft, Arroganz, Ressentiment, Haß und Gier ihren freien Willen zur gegenseitigen Vernichtung mißbrauchen.[3] Vorangegangen war eine, auch für den Humanismus typische Analyse des Wortgebrauchs von fatum, fortuna und casus. Was das Glück angeht, so bleibt es eine Sache des persönlichen Empfindens von widrigen oder günstigen Ereignissen. Das Schicksal dagegen wird wegen seiner Eigenschaften der Notwendigkeit und Ewigkeit sofort mit Gott identifiziert, der alles besorgt und ordnet.[4] Um zu erklären, daß das Wirken Gottes den Menschen als Schicksal erscheint, etabliert Salutati eine 'Rangfolge der Ursächlichkeit' (ordo causarum) von der Existenz über die Größe, Überzeitlichkeit und Dreifaltigkeit Gottes zur Schöpfung: Es ist die Trinität, die über alles in der Schöpfung disponiert, so daß alles unterhalb der Trinität sowohl in der Vorsehung enthalten ist als auch den Status nachrangiger Ursächlichkeit (causae inferiores) hat.[5] Folglich ist die Schöpfung geordnet, weil untergeordnet.

Nur eine Ausnahme gibt es, den menschlichen Willen: "Der Wille allein, eine natürliche Potenz des Geschaffenen, erhielt auch die Freiheit der Entscheidung (arbitrii libertatem), so daß er überhaupt kein Wille wäre, wenn ihm die Freiheit entzogen würde (was allerdings unmöglich ist) – die Freiheit nämlich, das Wollen oder Nichtwollen zu wählen, die ihm so natürlich ist, daß es nicht falsch wäre zu sagen: wenn Gott sie wegnähme, bliebe gar kein Wille übrig, sondern irgend eine andere Kraft, nicht aber Wille." [6] Die 'andere Kraft' wäre der praktische Antriebsimpuls, der bekanntlich scheitern kann. Der Wille der Willensfreiheit, dagegen, ist selbstbezüglich und fundamental selbst-bestimmt und dadurch frei.[7]

Der hier auftauchende Gegensatz zwischen Gottes Vorsehung und dem freien Willen (was die Philosophen immer wieder beschäftigt hat) wird von Salutati nun folgendermaßen aufgelöst, oder vielleicht auf die Spitze getrieben: Schicksal ist nicht nur die Unausweichlichkeit eines einzelnen Ereignisses, sondern zugleich das Zusammenspiel aller Umstände, und erst dieses Zusammen scheint das Fatale auszumachen. "Fatum ist die Notwendigkeit, welche die Wirkungen steuert und die aus dem Einsatz all der Ursachen dazu hervorgeht, die sie zusammenstellt und zusammenhält."[8]Auf die Vorsehung übertragen bedeutet das, daß die Vorsehung, indem sie ein Ereignis zustandebringt, sich aller Umstände als sekundärer Ursachen bedient, um das Ziel zu erreichen, was impliziert, daß Gott die einzelnen Teilursachen so einsetzt, daß der angezielte Effekt nicht ohne genau diese sekundären Ursachen hätte erreicht werden können. Wir haben hier einen Gedankengang, den Salutati offensichtlich aus dem spätmittelalterlichen Voluntarismus bezogen hat.[9] Demnach ist die ganze Welt und alles in ihr kontingent, nämlich zwar unvermeidlich notwendig, da von Gott so gewollt, und doch in der Weise von Gottes Willen abhängig, daß alles auch ebensogut nicht hätte sein können, wenn Gott dies gewollt hätte. Anders ausgedrückt: Kontingenz und Notwendigkeit sind ihrerseits ineinander verschlungen.[10] Daraus könnte die skeptische Haltung folgen, daß nichts irdisches gewußt werden kann, wenn denn schon Gott nicht weiß, was kommt. Für Salutati dagegen folgt daraus die Gewißheit, daß Gott sekundäre, kontingente Ursachen willentlich einsetzt. Nun ist der freie Wille eine dieser sekundären Ursachen, die Gott mit Notwendigkeit einsetzt, um sein Ziel zu erreichen. Ohne den freien Willen des Menschen wäre das fatum, nämlich die Providenz, machtlos. In diesem Sinne interpretiert Salutati dann Paulus' Formel: "Deus operatur in nobis"[11] bzw. "Denn Gott ist es, der in euch ebenso das Wollen wie das Vollbringen schafft nach seinem Wohlgefallen." (Phil. 2, 13). Dazu paßt dann gleich auch noch die stoische Version, 'aus der Notwendigkeit seinen Willen machen'[12]: So wie Gott sich der freien Willensentscheidung als einer der vielen Umstände seines Handelns bedient, so wird der vernünftige Mensch die Umstände, die Notwendigkeiten und schließlich die Göttliche Vorsehung in sein "Wollen und Vollbringen" einbeziehen. Womit der Kreis geschlossen und das Problem von Vorsehung und Freiheit zwar nicht gelöst, aber geschürzt wäre.

Als Nebenbemerkung sei angefügt, daß Salutati hier vorbereitet, was bei Machiavelli, einem späteren Kanzler von Florenz, zur Zentralthese werden wird: Der mit virtus ausgestattete Mensch muß sich die zufälligen und wechselhaften Umstände zunutze machen, und nur darin kann seine Tugend bestehen.

Die Überlegungen zur Willensfreiheit kommen in der Abhandlung über den Rang von Recht und Medizin zum Tragen. Willensfreiheit wird hier als Funktion von Wille und Vernunft definiert.[13] Der Wille, von dem hier die Rede ist, ist derjenige, der die unteren Teile des Verstandes koordiniert und insofern dem bloßen Erkennen vorsteht. Aber damit ist noch mehr verknüpft: Wenn der menschliche Wille sich vernünftigerweise dem göttlichen Willen – soweit er einsehbar ist – zu unterwerfen hat, dann ist auch alles Handeln vom Willen insofern abhängig, als die zum Handeln notwendigen Erkenntnisse vom Willen angefordert werden. Und der Wille wird unter diesen Voraussetzungen richtig wollen, wenn er das Gelingen des Handelns anstrebt. Und damit sind wir beim guten Leben: Oberste Richtschnur allen Handelns wird ja die Glückseligkeit sein, die für einen Christenmenschen selbstverständlich in der Übereinstimmung mit Gott besteht. Scholastisch gesprochen ist also die metaphysische Spekulation, solange sie um ihrer selbst willen geschieht, wertlos im Verhältnis zum Streben nach Glückseligkeit. Das aber wiederum heißt, daß im Vergleich des aktiven mit dem kontemplativen Leben, die Kontemplation von geringerer Bedeutung ist als die Aktivität. Im Blick auf die gewöhnliche Bedeutung von kontemplativem Leben, das wir mit Mönchtum und Frömmigkeit assoziieren, mag das überraschend klingen. Wenn aber das aktive Leben darin besteht, die ewige Seligkeit zu erreichen, ist der Schluß klar: Das Leben führt dann zum ewigen Leben, wenn es in diesem Leben gelingt.[14] Das Überraschende an Salutatis Diskussion der Begriffe ist die Dialektik, die darin besteht, daß eben diese Glückseligkeit nur in diesem Leben und nur mit den Mitteln dieses Lebens erworben werden kann, womit Pietät und Politik ineinander aufgehen. Die Kontemplation des Göttlichen wird politisch. "Nichts nämlich spekuliere ich allein des Wissens halber, sondern um, sobald ich weiß, begründeter handeln zu können."[15]

Wenn also Gottes Vorsehung kein Zusehen, sondern ein umsichtiges Handeln ist, das die Natur des menschlichen Handelns einbezieht, und wenn menschliches Handeln letztlich die Glückseligkeit anzielt ohne in Quietismus zu verfallen, dann verhalten sich beide Weisen des Handelns spiegelbildlich im Verhältnis von Willen und Wissen.[16]

Diese Relationen des Göttlichen und des Menschlichen sind für Salutati die Basis, das gesamte Recht naturrechtlich zu begründen, wobei – wenn ich das richtig sehe – göttliches und Naturrecht identisch sind.

Denn keine menschliche Einrichtung kann Gesetz genannt werden, wenn sie nicht völlig mit dem natürlichen, das ein Abdruck (vestigium) des göttlichen Gesetzes ist, übereinstimmt. Das göttliche Gesetz nämlich prägt dem menschlichen Geist das natürliche Gesetz ein, das das gemeinsame Prinzip der menschlichen Handlungen ist und, indem es unserm Geist eingeprägt ist, uns zu dem geneigt macht, was jenes unveränderliche, göttliche, ewige Gesetz beschließt.[17]

Folglich ist das Gesetz, als menschliches betrachtet, eine allen gemeinsame Vorschrift des unvergänglichen Prinzips und der naturgegebenen Neigung (communis quedam preceptio rationis eterne et inclinationis nature), die der verkündet, in dessen Hände die legitime Sorge für die Gemeinschaft gelegt ist.[18]

Zugleich muß der Humanist, weil Gottes Wirken aus seinem Wesen hervorgeht und irdisches Handeln im eigentlichen Sinne an der Ewigkeit orientiert ist, Recht, Gesetz und Gerechtigkeit in eins nehmen, als wären sie identisch: "Das richtige Recht (ius rectum) nämlich enthält das, was das Gesetz vorschreibt und was die Gerechtigkeit als Haltung ins Werk setzt."[19] Hierbei nennt er [a]equitas als ein rechtliches Prinzip, das in dem genannten Sinne allen Menschen eingeboren ist, und zwar jene bekannte Regel, anderen anzutun, was man für sich selbst wünscht, und was daraus abgeleitet werden kann.[20] Damit weicht Salutati – nach Darlegung des Kommentars zur deutschen Übersetzung[21] – von der traditionellen Interpretation von aequitas ab. Aequitas meint hier weder die Gleichheit des Gesetzes für alle, noch die Angemessenheit der Anwendung allgemeiner Gesetze auf den Einzelfall (also ein Korrektiv zum starren Gesetz), sondern Gleichheit ist soviel wie "die Quelle und der Ursprung und die sichere Grundlage unserer Gesetze".[22] Damit scheint Salutati einen platonisierenden Gebrauch von einem Prinzip zu machen, das transzendent und zugleich als eingeborene Idee allgemein menschlich zugänglich ist. "Das Gesetz beruht nicht (...) auf dem Gutheißen des Willens (...). Es besteht vielmehr ausdrücklich in jenem allerhöchsten Prinzip der Gleichheit."[23] Ferner ist zu beachten, daß dieser traditionelle, auf Ulpian zurückgeführte kategorische Imperativ – anderen zu tun oder nicht zu tun, was man für sich selbst wünscht – als objektives Gleichheits-Prinzip verstanden und somit von der Ebene einer Klugheitsregel zur metaphysischen Begründung von Recht erhoben wird, denn er enthält nun "die höchste und in der Weise gerechte Gleichheit, daß sie niemanden verletzt."[24]

Währende es leicht erscheint, Salutati als Ideologen Florentiner bürgerlicher Freiheit darzustellen,[25] welche auf einem Gleichheitsgrundsatz beruht, sei hier betont, daß er mit der Analyse des Willens und des Grundprinzips von Recht auf eine metaphysische Begründung menschlichen und gesellschaftlichen Handelns, einschließlich der Gesetzgebung, aus ist. Aus seiner Perspektive ist dann das Geschäft des Regierens nicht von Sach- und Interessenzwängen bestimmt, die bekanntlich kontingent sind, sondern in dem menschlichen Paradox begründet, in kontingenter Weise Notwendigkeiten zu schaffen, was eine anthropologische Konstante ist, welche ihrerseits theologisch gesprochen in der Willensfreiheit der im Menschen operierenden Vorsehung vorgegeben ist. Individuelles ebenso wie politisches Handeln orientiert sich zwar faktisch an den Umständen, hat aber zur Bedingung seiner Möglichkeit die gottgeschaffene Freiheit, die qua anthropologisch eine Gleichheit ist.

Was nun die Titelfrage des Traktats angeht, ob nämlich die Medizin oder die Jurisprudenz von höherem Adel sind, so spitzt sich die Frage scheinbar auf den Unterschied zwischen theoretischen und Erfahrungswissenschaften zu. Es nicht mehr überraschend, daß für Salutati die Jurisprudenz ihren Ursprung in den Seelenvermögen Intellekt, Rationalität und Wille hat, die Medizin dagegen aus den wandelbaren sinnlichen Erfahrungen schöpft.[26] Dementsprechend machen sie auch auf unterschiedliche Weise ihre Fortschritte: Während die Medizin im Grunde durch trial and error wächst, wie man an den Umwegen über Magie sehen kann, wächst die Gesetzeswissenschaft an der Auseinandersetzung mit ihrem ureigenen Prinzip, ja sogar die Durchsetzung der Gesetze ist das natürliche Wachstumsprinzip des Rechts.[27] Es geht also beim Vergleich von Recht und Medizin nicht um eine soziale Konkurrenz zweier Fakultäten, sondern darum, menschliches Handeln in den beiden – letztlich komplementären – Dimensionen zu zeigen, nämlich Interesse an Erfahrung versus Orientierung an Prinzipien des Handelns selbst.

Damit stellt sich natürlich die interessante Frage nach der spezifisch menschlichen, um nicht zu sagen humanistischen, Bedeutung solcher Rechtstheorie. Wenn menschliches Handeln ursprünglich und letztlich in Gott begründet ist, dann laufen, wie schon bemerkt, Naturrecht und Göttliches Gesetz auf eins hinaus. Der Unterschied besteht dann nur noch im Ablauf, oder – wenn man so will – in der neuplatonischen Figur des Hervorgangs und der Rückwendung, wie in dem folgenden Zitat erkennbar wird:

Das Recht (ius), das nach iuvare (helfen), vielleicht auch nach Iupiter, der als erster Gesetze gab, so genannt wird, ist folglich das natürliche Gesetz, das (...) vom menschlichen Gesetz verkündet wird. In der Sache freilich unterscheiden sich diese Gesetze nicht; sie sind dasselbe, sie sind ganz und gar eins. Das göttliche Gesetz legt fest, das natürliche macht geneigt, das menschliche verkündet und befiehlt. Das aber, was befohlen wird, wozu man neigt und was festgesetzt ist, ist dasselbe. Das göttliche Gesetz steht unverrückbar und über allem,[28] das natürliche nimmt es auf und bewegt, das menschliche verkündet und bindet; und dieser Bindung (obligatio) wegen kommt ja Gesetz (lex) von binden (ligare).[29]

Unverkennbar spielt Salutati hier auch noch mit der Etymologie von religio. Das positive Recht wird als Emanation des göttlichen Willens dargestellt. Wenn wir die Paradoxien der Willensfreiheit im Auge behalten, wird verständlich, daß auch im Recht für Salutati der Handlungsrahmen darin besteht, 'die Notwendigkeit zum Willen zu machen', bzw. das zu verkünden, was das Göttliche Recht verlangt. Und das ist dann auch Grundlage der Politik.

In gewissem Maße sieht das alles sehr mittelalterlich aus. Denn das ist es ja, was wir von einem Thomisten aber wohl auch von einem Nominalisten erwarten würden, das Postulat, menschliche Gesetze und Politik seien am theologisch begründeten Naturrecht zu orientieren. Andererseits scheint der Adressat des Traktats, Salutatis Gegenüber, versucht zu haben, Politik und Gesetz mit scholastischen Argumenten auseinander zu dividieren.[30] Demnach dürfte die Stoßrichtung der humanistischen Antwort darin liegen, die Kluft zwischen der Spekulation theoretischer Prinzipien und menschlicher Praxis zu schließen: Politik und Gesetze verhalten sich wie "Prinzip und Ausgestaltung des Prinzips", oder wie Begriff und auf konkrete Ausführung gerichteter Plan.[31] Das Gesetz ist dann nur insofern wirkliches Gesetz, als es durch Verkündung "das richtige Prinzip des menschlichen Lebens ist".[32] Was zuvor als Unterschied zwischen kontemplativem und aktivem Leben erwähnt wurde, wiederholt sich als Unterschied zwischen metaphysisch-anthropologischer Begründung und praktischem Nutzen. Dieselbe Figur finden wir an anderen Stellen als den Unterschied zwischen 'machen' und 'tun': facere ist transitiv und bringt etwas Substantielles hervor, agere dagegen bewirkt etwas Geistiges – beide aber sind im Begriff actio enthalten.[33]

Der eine Generation jüngere Humanist Poggio Bracciolini hat in polemischer oder ironischer Weise, Salutatis Absicht deutlich gemacht, und ihm zugleich ein Denkmal gesetzt. Zum Abschluß seines, die dignitas-hominis-Rhetorik parodierenden, Traktats De miseria conditionis humanae verkündet er: " So stark ist die Macht der Fortuna nicht, daß sie vom starken und standhaften Mann nicht besiegt würde. Viele haben mit ihr gerungen und sind Sieger geblieben. Der Geist ist frei von der Herrschaft der Fortuna, wenn sie alle Güter wegnimmt, dazu Kraft, Mut, Frauen und Kinder. Gleichen Mutes nehmen wir ihre Schläge an und denken, daß das von Gottes höchster Vorsehung kommt, die über unsere Angelegenheiten recht beschließt, da er allein weiß, was (auf) uns zukommt, während wir für Anlaß und Stoff unseres Elends sorgen."[34]

Auch an der Ironie erkennt man gut, daß, obwohl Salutati den göttlichen Sinn von Recht und Gesetz hervorhebt, sein Interesse in der Praxis liegt. Denn es kann ja nicht geleugnet werden, daß die Medizin wenigstens von unmittelbar praktischem Nutzen ist. Deshalb verteidigt die Medizin als Sprecherin des vorletzten Kapitels ihren Anspruch damit, daß sie ihre Prinzipien aus der theoretischen Physik bezieht und als 'operative' Kunst ihren Rang hat.[35] Salutati versucht aber für das Recht zu beweisen, daß es sowohl unveränderliche Prinzipien besitzt als auch konkret erfahrbare Anwendung, ja sogar, daß ihre Prinzipien solche sind, die in Konkretion verwirklicht werden. Jurisprudenz ist nun die Institution, die es erlaubt, Theorie praktisch und Theologie politisch werden zu lassen.

Inzwischen gedruckt in Rolf Gröschner et al. (eds.), Des Menschen Würde – entdeckt und erfunden im Humanismus der italienischen Renaissance. Tübingen: Mohr Siebeck, 2008, pp. 63-71.



[1] Coluccio Saluati (1331-1406) wurde in Stignano in der Toscana geboren, er besuchte die Notariatsschule in Bologna und hatte danach verschiedene Notariatsposten inne, u.a. in seiner Heimatstadt. 1367 wurde er Kanzler der Stadt Todi, und nach kurzem Aufenthalt in Rom zog er 1374 nach Florenz, wo der ab 1375 Kanzler war. Sein Amt kam dem eines Chef-Diplomaten gleich, weil er das Lesen und Schreiben beherrschte, nämlich die Kunst formgerechte Briefe in italienischer oder lateinischer Sprache an ausländische Adressaten zu verfassen. (Florenz befand sich in verschiedenen Kriegen, z.B. mit dem Päpstlichen Staat und mit Mailand.) Salutatis Innovation bestand u.a. darin, daß er Ciceronianische Rhetorik, moralisches Argumentieren und stilistische Eleganz in die öffentliche Sprache einführte. - Für die Philosophie hinterließ er einen enormen Briefwechsel, der teilweise vollständig ausgearbeitete Traktate enthält, sowie mehrere eigenständige Werke: De fato et fortuna über die Willensfreiheit; De otio religioso, in dem einem jungen Mann geraten wird, der Welt zu entsagen und ins Kloster zu gehen, eine aszetische Schrift also, die wiederum die Freiheit berührt, sowie die Stellung des Menschen zu Gott und zur Welt; De tyranno, eine politische Schrift in der Auseinandersetzung mit Mailand; De nobilitate legum et medicinae, ("Vom Adel der Gesetze und der Medizin", in der vorliegenden zweisprachigen Ausgabe sachlich richtig: Vom Vorrang der Jurisprudenz oder der Medizin); De laboribus Herculis, Salutatis bedeutendstes Werk, eine Hermeneutik der antiken heidnischen Mythologie. – Über Salutati v.a. Ullman 1963, Witt 1983.

[2] Salutati 1891-1911 (Epist.), 1, S. 9-12.

[3] Salutati 1985 (De fato), IV S. 216.

[4] De fato I 1, S. 8 f.

[5] Ebd. S. 9.

[6] De fato I 3, S. 19-20: "Sola voluntas, que naturalis creature potentia est, sic obtinuit arbitrii libertatem, quod omnino voluntas non sit, si sibi libertas (quod est tamen impossibile) subtrahatur, libertas – inquam – in eliciendo velle vel nolle, que adeo sibi naturaliter inest, quod inconveniens non sit fateri quod, si Deus illam abstulerit, voluntas penitus non manebit; erit enim alia vis aliaque potentia, non voluntas."

[7] Epist. 2, S. 231 f.: "possumus etenim aliquid velle vel nolle; potest et ipsa voluntas ad actum volendi se libere terminare." Es folgen Beispiele für davon verschiedene praktische Willensakte.

[8] De fato II 4, S. 31 f.: "fatum est necessitas regulans effectus proveniensque ex applicatione causarum ad ipsos, quas et congregat et conservat."

[9] Trinkaus, 1970, S. 85 f. und passim; Keßler 1990, S. XVII.Vgl. Occam 1962, In Sent. I, dist. 38, C, p. gg v verso: "voluntas divina est libera inquantum est operativa"; L, p. gg vi recto: "modum quo scit [deus] omnia futura contingentia exprimere est impossibile omni intellectui pro statu isto"; O, p. gg vi verso: "sic intelligendum deum habere scientiam necessariam de futuris contingentibus, quod deus necessario sciat hoc futurum contingens". Die dem göttlichen Willen eigene Notwendigkeit schließt die Kontingenz (d.i. die Nicht-Notwendigkeit) des Zukünftigen ein.

[10] De fato II 7, p. 59: "Necessitat [Deus] enim cuncta que de nichilo produxit ut sint, sed ut necessaria vel contingentia sint (…) ut mirabile quiddam eveniat quod simul coeant necessitas et contingentia."

[11] De fato II 6, p. 52: "nullum inconveniens sit fato nostras subicere voluntates (…) ut suorum actuum, quos "Deus operatur in nobis" [Ephes. 3.20], libere et ab omni compulsionis necessitate secure causa sint et agenti Deo libere cooperentur."

[12] De fato II 9: "de necessitate facimus voluntatem".

[13] Saltuati 1990, De nobilitate 23, p. 182: "liberum (…) arbitrium, quod est actus voluntatis et rationis."

[14] Vgl. Epist. 3, S. 305 f.: "melior est contemplativa, fateor; non tamen semper nec omnibus eligibilior. inferior est activa, sed eligendo multotiens preferenda. nam cum illa sit voluntatis, hec necessitatis, nec tam annexa colligataque cum esse, quod etiam non curet et consideret bene esse, credis viam istam et vitam ad celum aditum non habere? … sicut contemplativam actu precetit activa, quoniam illam producat et gignat."

[15] De nobilitate 38, S. 259.

[16] Vgl. Die ausführliche Diskussion der Spiegelmetapher in Epist. 2, S. 115 f.

[17] De nobilitate 3, S. 17.

[18] De nobilitate 3, S. 19.

[19] De nobilitate 38, S. 253.

[20] De nobilitate 3, S. 17.

[21] De nobilitate, Anm. 21, zu S. 16,31, S. 283-286.

[22] De nobilitate 3, S. 19. Parallelstellen dazu aus unveröffentlichen Briefen in Garin 1973, S. 40-42; z.B. S. 40: "leges, quibus inter cunctos equabilitas statueretur, hominum mentibus inspiravit."

[23] De nobilitate 3, S. 19.

[24] De nobilitate 6, S. 44/45: "summam continet equitatem et sine cuiusquam indignatione iustam." Hier weiche ich von Schenkels Übersetzung ab.

[25] Petrucci 1972, S. 22 f., der sich auf Salutatis Gesetzgebung für Lucca beruft.

[26] De nobilitate 10, S. 77.

[27] De nobilitate 11, S. 82/83: "conflictatione … et examine rationis."

[28] Die neuplatonische Denkform wird deutlicher im lateinischen Vokabular: instat et eminet.

[29] De nobilitate 19, S. 161.

[30] De nobilitate 20, S. 169.

[31] De nobilitate 20, S. 170/171: "Non differunt einim hec [politica, leges], nisi tamquam ratio et rationis institutum."

[32] De nobilitate 20, S. 171.

[33] Epist. 3, S. 248: "ut quotiens actio nostra in aliquid sensibile transeat aut efficiat aliquid, quod per se subsistat, facere dicimur et non agere; cum autem spirituale vel incorporeum quppiam efficimus, non facere, sed agere … convenientius affirmemur."

[34] Bracciolini 1538,S. 131: "Non est tam valida fortunae vis, ut a forti et constanti viro non superetur. Multi cum illa colluctati victores evaserunt. Animus a fortunae imperio liber est, si opes aufert, si vires, si valitudinem, si uxorem, si liberos. Aequa mente careamus muneribus suis, existimemusque id summa Dei providentia fieri, qui rebus nostris recte conslat, cum ipse solus noverit quid nobis sit profuturum, nos malis nostris causam et fomentum praebemus." – Das seltene Wort 'colluctati' ist sicher eine Hommage an Colluc[tius Salu]tati.

[35] De nobilitate 38, S. 256/257. Zum Kontext vgl. Witt 1977.

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